In einem anderen Kapitel haben wir viel über Werte gesprochen. Du weiß, was Dir wichtig ist und womit Du überhaupt nicht klarkommst. Die Frage, die nun im Raum steht, ist: Was ist für Deine Partnerschaft erfolgsversprechender? Soll Dein Partner mit Dir auf einer Wellenlänge sein? Ihr harmoniert perfekt miteinander, habt dieselben Interessen, Hobbys und Lebenseinstellungen. Ihr braucht den anderen nur anzuschauen und wisst sofort, was er gerade denkt oder was er möchte. Ihr ähnelt euch zu einhundert Prozent, seit immer einer Meinung, und findet umgehend eine perfekte Lösung für jedes Problem. Was für ein traumhaftes Märchen. Oder vielleicht doch nicht?
Auf alle Fälle klingt es besser als die gegenteilige Partnerschaft. Hier habt Ihr mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten. Angefangen beim Musikgeschmack, bei den Essgewohnheiten, bei der Freizeitgestaltung, beim Wohnstil, bis hin zu kontroversen Themen wie politische Ausrichtung, Umgang mit Geld oder Kindererziehung. Egal um welches Thema es geht, ihr werdet unendlich lange Diskussionen führen, miteinander streiten und Lösungen sind nur sehr schwer und mit viel Kompromissbereitschaft zu finden. Was für eine Horrorvorstellung. So eine Beziehung wünscht man nicht mal seinem ärgsten Feind. Aber warum gibt es solche Partnerschaften? Und warum halten diese manchmal länger als die harmonischen?
Lass uns die Sache mal unter die Lupe nehmen.
Ohne Frage: Am Anfang einer Beziehung ist es von Vorteil, wenn Ihr viele Gemeinsamkeiten habt. Das Kennenlernen läuft harmonischer ab und man muss nicht ständig darüber diskutieren, was jetzt besser ist. Wenn man denselben Musikgeschmack hat, besucht man die gleichen Konzerte. Beim gleichen Essensgeschmack fällt es leichter, ein Restaurant zu finden. Dadurch, dass man vieles Gemeinsam hat, fühlt man sich verbunden und, überspitzt gesagt, man liebt den anderen so sehr wie sich selbst.
Ich kannte mal ein Paar, die haben das perfektioniert. Bei den beiden hat man schon von weiten gesehen, dass sie zusammengehören. Sie hatten tatsächlich den gleichen Kleidungsstil. Im schlimmsten Fall waren es die gleichen Jogginganzüge. Aber auch wenn es Alltagskleidung war, war diese perfekt aufeinander abgestimmt. Die beiden haben alles zusammengemacht. Vermutlich jede Minute vom Tag. 100 Prozent synchron zum Partner. Mal ernsthaft. Ist das deine Wunschvorstellung?
Um es vorwegzunehmen: Diese Beziehung ist gescheitert. Und Du kannst Dir bestimmt vorstellen, warum.
Richtig, der Grund waren zu viele Gemeinsamkeiten. Hat man hier wirklich einen Partner oder ein Spiegelbild? Wo bleibt der Reiz, etwas anderes kennenzulernen? Wo bleibt die Abwechslung? Und wo bleibt das Feuer, das Temperament, was einer Beziehung den richtigen Treibstoff gibt?
Hat man zu viele Unterschiede, ist das natürlich auch Gift für eine Beziehung. Ständig Streit und Diskussionen. Das raubt einen viel Energie und Lust aufeinander. Es besteht das Risiko, dass jeder, früher oder später, seinen eigenen Weg geht. Sein eigenes Ding macht. Auf gut Deutsch: Man lebt sich auseinander.
Das mit dem Auseinanderleben ist ja ohnehin so ein Thema in heutigen Beziehungen. Wie kommt sowas? Meine Theorie dazu ist folgende: Der Tag eines jeden Menschen hat 24 Stunden. Durchschnittlich verbringen wir 8 Stunden davon auf Arbeit, 7 Stunden schlafen wir, um die 3 Stunden verbringen wir mit Körperpflege, Mahlzeiten zubereiten und essen. Dann noch etwas Zeit für den Haushalt, nicht zu vergessen der Weg zur und von der Arbeit, einkaufen und vielleicht hast Du auch Kinder, die Zeit mit Dir benötigen. Du kannst es drehen und wenden, wie Du willst. Der Tag ist viel zu kurz. Und eines habe ich jetzt noch gar nicht mit aufgezählt. Das Allerwichtigste, das, was unbedingt unter jedem Umstand und ohne Kompromisse am Tag passieren muss. Na, weißt Du, was das ist?
Es ist die Zeit für Dich selbst. Deine Zeit, in der Du Energie tankst, in der Du deinen Interessen und Hobbys nachgehen kannst. Die Zeit, die Dir zeigt, dass Du keine Maschine, sondern ein Lebewesen mit Bedürfnissen bist.
Und das ist der springende Punkt in einer Partnerschaft, in der man sich auseinanderlebt. Wieviel Zeit hat man für sich und was macht man in dieser Zeit? Was macht der Partner währenddessen und was tun die Kinder?
Ich war jahrelang der Meinung, ich brauche keine Zeit für mich. Ich brauche keine Hobbys oder Freunde, mit denen ich um die Heuser ziehe. Ich wollte die freie Zeit, die mir zur Verfügung stand, mit meiner Partnerin verbringen. Diese Einstellung stellte sich als großer Fehler heraus. Ohne es zu merken, brannte ich aus. Mein Leben drehte sich nur noch um Arbeit, Kinder, Haushalt und meine Frau. Als ich bemerkte, was mit mir passiert ist, war es zu spät. Ich hatte keine Energie, keine Ideen, nichts mehr, was ich meiner Partnerin noch geben konnte. Ich habe funktioniert, aber nicht gelebt.
So geht es vielen Paaren in der heutigen Zeit. Der Alltag fordert immer mehr Aufmerksamkeit und Energie von einem. Man funktioniert, um das Leben zu meistern, und stellt dann irgendwann fest, dass man nur noch eine Zweckgemeinschaft und keine Partnerschaft mehr ist. Man hat sich auseinandergelebt.
Und das ist der Grund, warum Partnerschaften, in denen es mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten gibt, länger bestand haben können. Hier kommt es zwischen den Partnern immer wieder zu Reibereien. Der eine möchte das, der andere was ganz anderes. Man ist häufig mit seinem Partner im Gespräch. Das können positive Gespräche sein, weil man sich mitteilt, was man Tolles, ohne den Partner, erlegt hat. Es können aber auch energiegeladene Gespräche sein, weil wieder einmal zwei Welten aufeinanderprallen. Aber immerhin, Ihr spürt in dem Moment, dass euer Partner noch existiert. Dein Partner macht Dich in solchen Momenten mit Sicherheit wahnsinnig und Du möchtest Ihn am liebsten zum Mond schießen. Aber Du liebst Ihn. Vielleicht auch gerade deswegen. Und nach jedem Streit kommt die Zeit der Versöhnung. Mal ehrlich, nach einem heftigen Streit ist der Sex viel leidenschaftlicher und intensiver. Hier sind Feuer und wahre Liebe im Spiel.
Auch bemühen sich Partner, die miteinander streiten, mehr um den anderen. Sie schenken Blumen oder Pralinen zur Versöhnung, organisieren Ausflüge oder Überraschungen, um den Partner wieder glücklich zu machen. Versöhnung kann so schön sein. Dieses Auf- und Ab hält vermutlich solche Paare zusammen. Und nach dem hundertsten Streit wird man sich dann auch nicht gleich trennen. Man weiß schließlich, was man an seinem Partner hat.
Harmonische Paare kennen das nicht. Es kommt selten zum Streit, und wenn, dann meistens über das gleiche Thema. Das wird langweilig und irgendwann sagt einer, man hat sich auseinandergelebt. Aus und vorbei. Die Beziehung ist zu Ende. Ein Traumpaar, zumindest haben es alle anderen so gesehen, trennt sich. Da es bei harmonischen Paaren selten zu Auseinandersetzungen kommt, sind diese Streits dann auch schnell der Anfang vom Beziehungsende. Die Harmonie ist gestört. Man rauft sich zwar wieder zusammen, aber unterschwellig hat die harmonische Beziehung einen Knacks. Sie ist nicht mehr harmonisch. Und damit kann meistens einer der beiden auf Dauer nicht umgehen.
Harmonische Beziehungen entwickeln sich kaum weiter. Es herrscht die meiste Zeit Stillstand. Aber wie heißt eine bekannte Lebensweisheit? Was nicht wächst, das stirbt. Eine Pflanze, die nicht wächst, geht ein. Eine Firma, die nicht wächst, geht pleite, ein Lebewesen, das nicht wächst, stirbt und eine Beziehung, die nicht wächst – die wird getrennt.
Was ist denn nun aber für Dich besser? Das kommt in erster Linie auf Deine Einstellung an. Wenn Du ein harmoniebedürftiger Mensch bist, wird dich eine Beziehung, in der es ständig zum Streit kommt, unglücklich machen. Wenn Du temperamentvoll bist, wirst Du in einer harmonischen Beziehung vor lauter Langeweile sterben.
Mehr Gemeinsamkeiten oder mehr Unterschiede. Wie so oft im Leben kommt es auf die Dosierung an. Die Menge macht das Gift.
Liebe ist eine Entscheidung, weil Du entscheidest, wie Du mit Gemeinsamkeiten und Unterschieden umgehst. Du musst bewusst entscheiden, wie viele und welche Unterschiede Du akzeptieren kannst, um Deine Liebe zu lieben.