Nebenwirkungen vom Alleinsein

Eigentlich ist Alleinsein gar nicht so verkehrt. Du kannst tun und lassen, was Du willst, wann Du es willst und mit wem Du es willst. Warum sind dann aber viele alleinlebende Menschen nicht glücklich? Wobei, wenn man so in Sozial-Media-Plattformen unterwegs ist, könnte man den Eindruck gewinnen, dass alleine zu sein das Nonplusultra ist. Die perfekte Lebenseinstellung für das persönliche Glück. Ist das aber wirklich so? Wer entscheidet sich freiwillig, sein Leben alleine zu verbringen?

Für diese Entscheidung gibt es vermutlich Millionen Gründe. Der Hauptgrund ist oft der Mensch. Menschen sind egoistisch, gemein, verletzend. Jeder, der beruflich viel mit Menschen zu tun hat, wünscht sich hin und wieder auf eine einsame Insel. Weit weg von all den anderen Menschen. Weit weg von dem Chaos, dem Lärm, all den Idioten und Dummbacken. Wie oft hast Du Dich schon an Gott gewandt und darum gebetet, er solle Hirn regnen lassen? Und unter uns: Ich habe das Gefühl, dass die Dummheit der Menschen immer mehr zunimmt. Wenn ich mir anschaue, was vor hundert Jahren für Genies gelebt haben. Albert Einstein, Thomas Alva Edison, Gottlieb Daimler, Sigmund Freud und viele, viele weitere, von deren Entdeckungen und Erfindungen wir heute profitieren. Wenn ich mir dagegen die Menschen meiner Generation und unsere Jugend anschaue, wird mir schlecht. Wer seine Zeit mit TikTok, Insta oder YouTube verbringt, wird diese Welt nicht zu einer besseren machen.

Das aber nur am Rande. Die Menschheit als solche soll hier nicht das Thema sein. Vielmehr soll es darum gehen, warum immer mehr Menschen es bevorzugen, alleine zu leben. Warum sind Lebensgemeinschaften, so wie sie seit tausenden von Jahren existiert haben, plötzlich nicht mehr wichtig? Hat sich die Menschheit von einem Rudeltier zu einem Einzelgänger entwickelt? Was für Vorteile hat der Mensch dadurch?

Wie schon gesagt, allein sein hat durchaus seine Vorteile. Der größte Vorteil ist es, dass Du niemandem Rechenschaft ablegen musst. Ob Du zu spät kommst, ob Deine Wohnung sauber ist oder Du das ganze Wochenende an der Spielekonsole zockst. Es interessiert niemanden.  Solange Du Dir im Spiegel noch in die Augen schauen kannst, solange ist die Welt für Dich in Ordnung.

Ohne Frage, es ist schön wenn man sein eigenes Leben leben kann, sich voll und ganz seinen Hobbys und Interessen widmen kann und auf keinen Partner, Mitbewohner oder die eigenen Kinder Rücksicht nehmen muss. Es ist die Perfektion des Individualismus, die Spitze der Maslowschen Bedürfnishierarchie. Nachdem Physiologische-, Sicherheits- und Soziale- Bedürfnisse erfüllt sind, kann man sich im allein sein, ganz und gar der Selbstverwirklichung widmen.

Jedoch ist eine Stufe der Bedürfnishierarchie, die Sozialen Bedürfnisse. Demnach braucht der Mensch soziale Kontakte um überleben zu können. Wissenschaftlich wurde das auch mehrfach bestätigt. Ein Baby, aber auch Kleinkinder, erleiden schwere psychische Probleme, wenn man sie vernachlässigt. Selbst wenn man Ihnen das Lebensnotwendige Essen, trinken und Hygiene zukommen lässt, sie aber ansonsten sich selbst überlässt, werden diese Kinder krank und können sogar an Vereinsamung sterben.

Jugendliche und Erwachsene sterben zwar nicht mehr direkt an Vereinsamung, aber dennoch kann es auch hier zu Nebenwirkungen kommen. Mögliche Nebenwirkungen können sein: Alkoholsucht, Drogenabhängigkeit, Bewegungsmangel, „Fresssucht“ oder soziale Vereinsamung. Wer sich Tag ein, Tag aus nur mit sich selbst beschäftigt, ist irgendwann resistent gegen andere Meinungen, Einstellungen und Ansichten. Wer keine sozialen Kontakte mehr hat, hat zwangsweise ein eingeschränktes Sichtfeld. Das klingt böse, aber ist es nicht so?

Erst durch neue, andere Impulse von anderen Menschen erweitern wir doch unseren Horizont. Durch die Interaktion mit anderen bekommen wir die Möglichkeit einen anderen Blickwinkel einzunehmen, neue Information zu erlangen. Durch zwischenmenschliche Gespräche erfahren wir, was außerhalb unserer Lebensblase passiert. Durch Diskussionen erfahren wir, ob unsere Einstellung richtig, angemessen oder völlig daneben ist.

Auch wenn manche Menschen dich ablehnen, hassen, belügen, verletzen oder ignorieren, so brauchst Du doch zwischenmenschliche Aktivitäten zum Leben. Kennst Du das Gefühl, wenn Du nach einem scheiß Arbeitstag von einem Menschen, der Dich mag in den Arm genommen wirst? Ist das nicht wundervoll? Dieser Moment der Geborgenheit, das Gefühl nicht allein zu sein und seinen Kummer mit jemanden teilen zu können, sowas ist unbezahlbar. Es gibt sogar Initiativen, wo Studenten fremde Menschen auf der Straße einfach in den Arm nehmen, um so deren Tag einen positiven Impuls zu geben. Ich finde das eine klasse Idee.

Schon Deine Mutter hat Dich als Kind oft in den Arm genommen.  Wenn es Dir nicht gut ging, wenn Du traurig warst oder Du hingefallen bist. Sie nahm Dich auch in den Arm wenn Sie stoß auf Dich war oder einfach nur so um Dir zu zeigen das Sie Dich liebt. In vielen Völkern gehört die Umarmung zur Begrüßung oder zur Verabschiedung. Und das nicht ohne Grund. Wir Menschen brauchen einfach den Kontakt. Jemandem, den man in den Arm nimmt, kann man nicht böse sein.

Es gibt immer mal wieder Phasen in Deinem Leben, in denen Du allein sein möchtest. Nach einer Trennung oder dem Tod eines geliebten Menschen will man erstmal nichts mehr mit anderen zu tun haben. Man braucht Zeit für sich, um die Situation zu verarbeiten, um zu trauern. Du richtest Dich darauf ein, eine Zeitlang allein zu sein.

Auch wenn Du in den ersten Tagen, Wochen oder gar Monaten die Sehnsucht nach Zweisamkeit verspürst, so wird Dir das Alleinsein im Laufe der Zeit immer mehr gefallen. Vielleicht sogar so sehr, dass Du beschließt, nie wieder mit einem anderen Menschen zusammen sein zu wollen.

Ob dieser Entschluss für die Ewigkeit gilt, wage ich zu bezweifeln. Denn wenn Du ehrlich zu Dir bist, hast Du die schönsten Momente Deines Lebens erlebt, wenn Du mit anderen zusammen warst. Urlaub, Ausflüge, Feiern oder auch das Essen machen mehr Spaß, wenn man mindestens zu zweit ist. Wenn man sich hinterher austauschen kann und so die Erinnerung daran am Leben erhält.

Klar gibt es heutzutage viele Möglichkeiten für gemeinsame Aktivitäten. Dafür muss man sich nicht unbedingt einen Partner anschaffen. Aber ständig Aktivitäten mit neuen Menschen zu erleben, hat am Ende nichts mit gemeinsamen Aktivitäten zu tun. Man ist zwar unter Menschen und erlebt etwas, Aber das eigentliche Gemeinschaftsgefühl, welches erst aufkommt, wenn man sich gemeinsam an die Zeit erinnert, das bleibt dabei aus.

Was passiert nun aber, wenn Du jahrelang alleine Dein Leben gelebt hast, wenn Du dann doch wieder einen Menschen an Deiner Seite möchtest? Versuche Dir das mal real vorzustellen. Du hast Deine Wohnung für Dich perfekt eingerichtet. Dein Tagesablauf ist optimal für Dich. Und nun möchtest Du einen Partner an Deiner Seite. Was bist Du bereit aufzugeben? Wie flexibel und kompromissbereit bist Du? Es ist unwahrscheinlich, dass der Mensch, den Du kennenlernst, Deine Wohnungseinrichtung ebenfalls perfekt findet. Gerade Männer und Frauen haben da teilweise gravierend unterschiedliche Vorstellungen. Genauso unwahrscheinlich ist es, dass der Tagesablauf der Person, mit Deinem harmoniert. Arbeitszeiten, Verpflichtungen und schon alleine die Schlafgewohnheiten bringen ein ziemliches Durcheinander in Deine tägliche Routine.

Findest Du nach jahrelangem Alleinsein den passenden Deckel zu Deinem Topf? Findest Du die Person, die sich Dir anpasst, und bist Du bereit, Dich anzupassen? Fakt ist, dass sich beide Partner anpassen müssen, damit es funktioniert. Dieser Anpassungsprozess geschieht zum Glück auch nicht gleich von heute auf morgen. Sei Dir aber bewusst, dass, je länger Du oder Dein neuer Partner alleine gelebt habt, dieser Anpassungsprozess ziemlich aufregend werden kann.

Wenn Du während dieser Zeit immer mal wieder den Eindruck bekommst, das es doch einfacher und schöner war, als Du noch alleine Gelebt hast, dann ist das eine natürliche Reaktion. Frage Dich aber auch ob die schönen Momente der Zweisamkeit nicht viel wertvoller sind und es sinnvoll ist Zeit und Energie in eine Beziehung zu investieren.

Alleine glücklich oder glücklich zu zweit. Es ist Deine Entscheidung.

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