Werte

Bleiben wir noch ein wenig in deinem Kopf. Wir haben nun schon einiges über Entscheidungen in Bezug auf die Liebe erfahren. Aber wie fällt man eine Entscheidung? Woher weiß man, dass es die richtige oder zumindest die beste Entscheidung ist?

Je mehr Lebenserfahrung du hast, umso leichter wird es dir fallen, gewisse Entscheidungen zu fällen. Hier spielt dein Lernprozess eine wichtige Rolle. Es heißt ja so schön, aus Fehlern lernt man. Sprich, wenn du eine ähnliche Situation schon mal erlebt hast, wirst du, je nachdem, wie deine Erfahrung damals war, die gleiche Entscheidung oder aber eben eine bessere Entscheidung treffen.

Jetzt kommt aber im Leben eines jeden jungen Menschen der Moment, wo man die erste große Liebe trifft. Alles, was jetzt passiert, ist völlig neu für dich. Du hast noch keine Erfahrungen, auf die du zurückgreifen kannst. Auf welcher Grundlage fällst du also deine Entscheidungen?

Es sind deine persönlichen Werte. Die Dinge, die du durch deine Erziehung, durch Beobachtung oder durch Erzählungen verinnerlicht hast.

Lass mich das etwas verdeutlichen. Wenn deine Eltern einen liebevollen Umgang zueinander pflegten, offen miteinander redeten, gemeinsam nach Lösungen suchten, wenn Sie sich vor dir in den Arm genommen haben und sich zärtlich küssten, wenn Sie miteinander gelacht und etwas unternommen haben, was für eine Einstellung wirst du zur Liebe haben?

Sollten sich deine Eltern aber ständig gestritten haben, sind sie sich aus dem Weg gegangen, gab es keine Liebe zwischen Ihnen oder haben Sie sich getrennt, wie ist dann deine Einstellung zur Liebe?

Wie auch immer in deiner Familie mit der Liebe umgegangen wurde. Es hat dich geprägt. Aber nicht nur deine Beobachtungen bei deinen Eltern waren einprägsam. Du hast vielleicht auch unschöne Dinge durch deine Freunde erfahren. Vielleicht war die Mutter eines Freundes alleinerziehend, und du hast mitbekommen, wie schwer es für sie war. Oder in deinem Bekanntenkreis kam es zu einer Trennung, weil einer der Partner fremdgegangen ist. Du hast miterlebt, wie schlecht es der betrogenen Person ging und wie sehr sie gelitten hat.

All diese Erlebnisse haben dafür gesorgt, welche Einstellung du zur Liebe hast. Hast du überwiegend schlechte Erfahrungen mitbekommen, braucht sich niemand zu wundern, wenn du nicht an die Liebe glaubst. Vielleicht gehst du der Liebe sogar aus dem Weg, um nicht verletzt oder enttäuscht zu werden.

Kurze Zwischenfrage: Hast du dir schon mal Gedanken darüber gemacht, wie sich die soziale Entwicklung auf die Beziehungen deiner Kinder und Enkel auswirken wird? Mit welchem Bewusstsein sollen Kinder, die erlebt haben, dass die Eltern sich trennen und danach häufig neue Partner haben, zum Thema Liebe aufwachsen? Was wirst du deinen Kindern oder Enkeln über die Liebe erzählen, wenn du betrogen oder verlassen wurdest?

Ich glaube, dass wir uns nicht wundern brauchen, dass heutige Generationen, beziehungsunfähig sind. Sie haben es nicht anders gelernt.

Aber zurück zu deinen eigenen Werten. Kennst du deine Werte? Hast du dir darüber schon mal intensiv Gedanken gemacht? Es gibt viele Werte, nach denen man leben kann. Und jeder Mensch bewertet diese unterschiedlich. Welche Werte spielen für dich eine Rolle, gerade in Bezug auf die Liebe?

Liebe – Treue – Ehrlichkeit – Mut – Hilfsbereitschaft – Respekt – Freiheit – Spaß – Abenteuer – Gerechtigkeit – Sicherheit – Ordnung – Disziplin – Zuverlässigkeit – Harmonie – Erfolg – Toleranz – und noch einige mehr.

Natürlich hast du dich schon, bevor du dich Hals über Kopf verliebt hast, mit dem Thema auseinandergesetzt. Bücher, Sozialmedia, Gespräche mit Freunden und was es sonst noch für Möglichkeiten gibt.

Im Laufe des Prozesses ist ein Bild von deiner perfekten Liebe in deinem Kopf entstanden. Du hast die Bedingungen, die Werte und die Grenzen exakt für dich definiert. In deinem Kopf ist auch ein Bild von deinem Traumpartner abgespeichert. Durch Filme, Bilder oder Vorbilder in deinem persönlichen Umfeld hast du festgelegt, wie dein Traumpartner auszusehen hat. Schlang, sportlich, plüschig oder korpulent. Groß oder klein. Blond oder schwarzhaarig. Es ist alles festgelegt. Auch die wichtigsten Eigenschaften stehen fest. Du kannst nicht mit jemandem zusammen sein, der unordentlich ist. Jemand, der den ganzen Tag nur am Handy daddelt oder mit seiner Spielekonsole verwachsen ist. Du möchtest jemanden an deiner Seite, dem Sport genauso wichtig ist wie dir. Und Ihr solltet noch die gleiche Musik hören, dieselben Filme lieben, das gleiche Essen bevorzugen, den gleich hohen Lebensstandard pflegen und, und, und.

Zum Glück darf in deinem Kopf alles perfekt sein. Die Realität sieht dann meistens etwas anders aus. Aber dazu später noch mehr. Bleiben wir erstmal lieber bei deiner perfekten Liebe, deiner Wunschvorstellung.

Im Idealfall hast du also deine Werte definiert. An diesen Werten richtest du deine Entscheidungen aus. Kommt jemand zu spät, obwohl dir Pünktlichkeit wichtig ist – keine Chance. Das Date ist geplatzt. Magst du rockige Musik, dein Date hört aber eher Klassik und Opern? Das wird schwierig und anstrengend für euch beide. Ist dein Date zu groß oder zu klein, stellst du dir permanent die Frage, wie Ihr euch küssen sollt. Ein spontaner Kuss ist so jedenfalls kaum möglich, wenn der Größenunterschied zu extrem ist.

Du siehst, deine Werte haben Ihre Berechtigung und es ergibt Sinn, sich an Ihnen zu orientieren. Natürlich sollten nicht alle deine Werte in Stein gemeißelt sein. Bei der Partnerwahl muss man auch ein wenig flexibel und auch anpassungsfähig bleiben. Du kannst nicht erwarten, dass deine zukünftige Liebe sich ändert, du aber felsenfest an deinen Werten festhältst.

Je genauer du deinen Traumpartner in deinem Kopf gezeichnet hast, umso blinder wirst du jedoch gegenüber möglichen Alternativen. Das klingt jetzt vielleicht etwas platt, aber mach doch mal folgendes Experiment. Gehe mal durch deine Straße und achte nur auf alle blauen Autos und zähle sie. Wenn du am Ende der Straße angekommen bist, fragst du dich, ob in der Straße nun mehr blaue oder weiße Autos stehen. Gerne kannst du zurücklaufen, um deine Vermutung zu überprüfen.

Was ich dir damit vor Augen führen möchte, wenn wir einen Idealpartner im Kopf haben, blenden wir viele mögliche Kandidaten aus. Wir nehmen Personen, die nicht in unser Beuteschema fallen, gar nicht oder nur oberflächlich wahr. Wir beschäftigen uns nicht mit Ihnen. Zumindest noch nicht. Ich wünsche dir, dass du genau den Partner findest oder bereits gefunden hast, den du dir immer vorgestellt hast. Solltest du aber Single sein und nach deinem Traumpartner suchen, passiert früher oder später Folgendes. Du stellst fest, dass dein Traumpartner entweder nicht in deinem Suchradius existiert oder dass er schon vergeben ist. Du suchst und suchst und die Jahre ziehen ins Land und du bist immer noch Single. Du kannst aber auch nach einigen erfolglosen Monaten deine Wunschvorstellung anpassen. Ist es wirklich zwingend notwendig, dass dein Partner schwarzhaarig ist? Warum kann er nicht auch blond sein?

Du erweiterst Dein Beuteschema und hast so vielleicht eher einen Treffer. Aber Achtung. Es gibt Dinge, die nicht verhandelbar sind. Wenn Du einen schlanken Partner suchst, wirst Du mit jemandem, der über das Stadium „gerade noch akzeptabel“ hinausgeht, nicht glücklich werden. Selbst wenn alle anderen Parameter perfekt übereinstimmen. Der Charakter, die Interessen und die Lebenseinstellungen. Diese Beziehung wird nicht erhalten. Du wirst Dich immer fragen, ob der Kompromiss, den Du eingegangen bist, nicht doch zu hoch war. Du schaust permanent nach Personen mit Traumkörpern und wirst jeden Tag, zu Hause, mit der Realität konfrontiert.

Verstehe das bitte richtig. Ich möchte hier niemanden diskriminieren. Auch korpulente Menschen sind attraktiv und liebenswert, Sie haben viele gute Eigenschaften. Aber sie passen eben nicht zu jemandem, der einen schlanken Partner sucht.

Deine Werte definieren aber nicht nur, wie Dein Traumpartner aussehen soll oder welche Eigenschaften er besitzen sollte. Deine Werte stecken auch den Verlauf des Kennenlernens und den zeitlichen Ablauf Deiner Partnerschaft ab. Mit Sicherheit hast Du für Dich festgelegt und Dir bildhaft ausgemalt, wie Dein erstes Treffen ablaufen wird. Ihr trefft Euch an einem neutralen Ort, redet miteinander, geht spazieren oder trinkt etwas zusammen. Mehr soll erstmal nicht passieren. Ob Ihr Euch beim Spazieren die Hand haltet oder bei der Begrüßung und beim Abschied in den Arm nehmt, entscheidet Deine persönliche Einstellung. Du hast für Dich vielleicht auch festgelegt, dass Du frühestens nach dem dritten Treffen den ersten Kuss möchtest. Und Sex gibt es erst nach 2 Monaten. Da Sex ohnehin etwas sehr Intimes, Persönliches ist, bei dem man sich der Lust vollkommen hingeben möchte, brauchst Du dafür schon ziemliches Vertrauen in Deinen Partner. Das ist Deine Wertevorstellung zum Thema Sex. Du möchtest auch vorher wissen, welche Erfahrungen Dein Partner hat, ob er sich geschützt hat oder ob er eine Praktik bevorzugst, die Du rigoros ablehnst. Die Werte Sicherheit, Vertrauen und Verständnis sind in diesem Zusammenhang für Dich wichtiger als Liebe. Wenn Du nur geschützten Verkehr haben willst, Dein Partner das aber vollkommen ablehnt, wird es nicht zum Sex kommen, wenn Du nach Deinen Werten lebst. Wenn Du Dir nicht sicher bist, ob Du die einzige Person bist, mit der Dein Partner intim ist, wird auch das den Sex verhindern. Und wenn Ihr beide nicht Verständnis füreinander habt, auf die Gefühle und Bedürfnisse des anderen achtet, wird es kein Liebesspiel, sondern eine Vergewaltigung. Das klingt hart, weil Ihr ja beide den Sex wolltet, aber wenn einer dabei ein ungutes Gefühl hat und der andere ohne Rücksicht weitermacht. Werden hier Grenzen überschritten und Werte verletzt.

Gehen wir aber mal davon aus, dass alles nach Deinen Vorstellungen abläuft. Der erste Kuss erfolgt erst beim 4. Treffen. Ihr trefft Euch nun regelmäßig und schreibt Euch täglich. Ihr unternehmt viel zusammen, redet über alles und diskutiert über wichtige Dinge. Nach ca. 3 Monaten habt Ihr genug Vertrauen ineinander, um miteinander zu schlafen. Der Sex ist fantastisch und Ihr seid beide im 7. Himmel. Stellt sich jetzt die Frage nach dem weiteren Verlauf der Beziehung.

In der heutigen Jugend gibt es eine 3-Monatsregel. Die besagt, dass sich niemand länger als 3 Monate verstellen kann. Auf gut Deutsch, spätestens nach drei Monaten erkennst Du das wahre Gesicht Deines Partners.  Erst jetzt fängt die Jugend an, die Beziehung ernst zu nehmen. Jetzt werden Familien vorgestellt und man macht gemeinsame Pläne über die Zukunft.  Wann zieht man zusammen? Wohin zieht man? In die Stadt oder aufs Land? In der Nähe seiner oder Ihrer Arbeitsstätte? Zieht man überhaupt zusammen oder möchte man doch lieber ein Stück weit eigenständig bleiben? Wann plant man Kinder und wie viele Kinder möchte man?

Das alles sind Dinge, die Du in Deinem Kopf für Dich festgelegt hast. Aber und das ist jetzt ein ganz großes Aber. Auch Dein Partner hat einiges davon für sich festgelegt.

Deswegen an dieser Stelle einen wichtigen Tipp. Ihr solltet im Laufe Eurer Kennenlernphase genau definieren und absprechen, welche Werte bei jedem von Euch unverrückbar sind. Was Euch wichtig ist, über welche Dinge ihr verhandlungsbereit seid.

Bestes Beispiel: Treue.

Treue hat einen hohen Wert in einer Partnerschaft. Es gibt aber unterschiedliche Auffassungen dazu. Klar, wenn man sexuell mit jemand anderen aktiv wird, hat man diesen Wert missachtet. Da gibt es nicht dran zu rütteln. Jemanden kennenlernen und auf einen Kaffee einladen. Was ist damit? Ist das Untreue? Über Social Media Kontakte knüpfen und sich austauschen. Ist das Untreue? Wie siehst Du es, wenn es bei den Onlinekontakten auch um sexuelle Themen geht?

Du merkst, hier besteht Klärungsbedarf. Je genauer ihr euch absprecht, was Ihr unter Treue versteht, umso einfacher wird es, nach diesem Wert zu leben.

Denn seien wir mal ehrlich. Viele Partnerschaften gehen auseinander, weil gegen die Werte eines Partners verstoßen wurde. Nicht immer ist es so eindeutig wie bei der Treue. Ordnung ist ein beliebter Grund, sich zu streiten. Ganz einfach deshalb, weil beide Parteien eine unterschiedliche Auffassung dazu haben. Selbst wenn Ihr aufgeteilt habt, wer was putzt oder wegräumt, kannst Du Dir sicher sein, dass es zum Streit kommt, wenn Dein Partner eine andere Vorstellung hat als Du. Zum Beispiel bist Du mit dem Ein- und Ausräumen der Spülmaschine beauftragt. Du räumst das Geschirr ein, schaltest das Gerät ein und hockst Dich vor dem Fernseher. Es läuft gerade Deine Lieblingssendung und Du hast nicht mitbekommen, dass die Spülmaschine fertig ist. Dein Partner steht plötzlich wutschnaubend neben Dir, mit einem Teller in der Hand, der nicht richtig sauber geworden ist. Herzlichen Glückwunsch, du hast gegen deinen Wert auf Sauberkeit und Ordnung verstoßen. Weil Du es beim Einräumen der Maschine eilig hattest, hast Du vergessen, den groben Schmutz vorher von dem Teller zu entfernen. Den Abend und Deine Lieblingssendung kannst Du nun vergessen. Du darfst Dir eine ausgiebige Erklärung dazu anhören, wie man eine Spülmaschine einräumt, gepaart mit weiteren Anmerkungen dazu, was Du beim Putzen und Aufräumen alles falsch machst. Auf eines kannst Du Dich jetzt aber auch noch freuen. In Zukunft wird regelmäßig überprüft, ob Du die Spülmaschine richtig einräumst. Und wehe, wenn nicht.

Ich glaube, du hast verstanden, was es mit den Werten in einer Partnerschaft auf sich hat, oder? Es ist wichtig, seine eigenen Werte zu kennen und danach zu leben. Es ist genauso wichtig, die Werte des Partners zu kennen und Sie zu respektieren. Es ist beziehungslebenswichtig, die Werte beider Beteiligten zu vereinen, um so ein stabiles Gerüst zu erhalten, an dem sich die Partnerschaft ausrichten wird. Und es bedarf einer gewissen Flexibilität bei seinen Werten, weil diese sich im Laufe der Partnerschaft auch verändern können. Der Wert Ordnung bekommt, wenn Kinder im Haus sind, plötzlich eine ganz andere Gewichtung. Zumindest im Kinderzimmer ist Ordnung dann nicht mehr ganz so wichtig.

Liebe ist eine Entscheidung, weil Du für Dich Deine Werte festgelegt hast und Deine Liebe nur unter Beachtung Deiner Werte und Berücksichtigung der Werte Deines Partners funktionieren wird.

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