Wie kann ein Wir, also das Zusammenleben von zwei Menschen, funktionieren? Das ist eigentlich gar nicht so schwierig. Im Prinzip musst Du den anderen Menschen nur genau so behandeln, wie Du selbst behandelt werden möchtest.
Wie möchtest Du also behandelt werden? Wann fühlst Du Dich in Gegenwart eines anderen Menschen wohl? Am deutlichsten wird es, wenn Du einen Abend in einer Gruppe verbringst. Am nächsten Tag kannst Du genau sagen, wie Dir der Abend gefallen hat. Wenn Du von der Gruppe ausgeschlossen wurdest, die meiste Zeit alleine am Tisch gesessen hast und die Gespräche langweilig waren, dann war der Abend eine Katastrophe. Hattest Du aber Spaß mit den anderen, habt ihr zusammen gelacht, euch stundenlang unterhalten, dann war der Abend ein voller Erfolg. Logisch, oder?
Woran lag es aber, dass der Abend so oder so verlaufen ist? Lag es an Dir? An Deiner Laune, Deiner Einstellung gegenüber den anderen, Deiner Persönlichkeit? Oder lag es daran, wie man miteinander umgegangen ist? Auch wenn Du eher ein schüchterner, zurückhaltender Typ bist, kann der Abend schön werden, wenn andere Gruppenmitglieder Dich in die Gruppe integrieren, Dich respektieren, so wie Du bist, und nicht von Dir erwarten, dass Du zu einem Entertainer wirst.
Egal ob auf einer Party, auf der Arbeit oder in der Familie: Wenn man Dich mit Respekt behandelt, dann fühlst Du Dich wohl. Oder bist Du anderer Meinung? Vielleicht sollten wir Respekt aber etwas genauer definieren. Dominante Menschen erwarten Respekt von ihren Mitmenschen auf Grund ihres Status. Der Chef erwartet Respekt von seinen Mitarbeitern, ein Richter verlangt Respekt von allen Anwesenden, ein Nachbar respektiert die Grenze zwischen seinem und meinem Grundstück, auch wenn kein Zaun die Grenze markiert.
Gegenseitiger Respekt ist im menschlichen Miteinander elementar wichtig. Wenn der Respekt nicht vorhanden ist, sind ein Zusammenleben, eine Zusammenarbeit oder ein Zusammenfeiern nicht möglich. Beispiele für respektloses Verhalten und wohin das führt, sehen wir tagtäglich in unseren Schulden. Schüler, die keinen Respekt vor dem Lehrer oder ihren Mitschülern haben, stören den Unterricht und beeinflussen das Lernergebnis aller negativ. In den Nachrichten sehen wir die Auswirkungen von Politikern, die sich respektlos gegenüber anderen verhalten. Streit, Machtkämpfe, Krieg sind die Folgen von respektlosem Verhalten.
Und in Deiner Beziehung? Wie sieht es da mit gegenseitigem Respekt aus? Respektierst Du die Meinung Deines Partners? Akzeptierst Du auch mal ein Nein auf eine Bitte? Nimmst Du Rücksicht auf Deinen Partner, wenn er einen Scheißtag in der Arbeit hatte und dadurch euer geplanter Abend ins Wasser fällt? Respektierst Du die Entscheidung Deines Partners oder kommt es immer wieder zu Streitereien?
Natürlich musst Du nicht mit allem einverstanden sein. Das verlangt niemand von Dir. Du darfst und solltest auch die ein oder andere Entscheidung ausdiskutieren. Das aber eben respektvoll. Nicht von oben herab und auch nicht aus einer Opferrolle heraus. Als gleichberechtigte Partner, auf Augenhöhe und so, dass Ihr euch hinterher auch wieder vertragen könnt.
Dazu ist es wichtig, zu verstehen, dass es nicht immer nur eine Lösung geben wird. Es ist nicht alles schwarz oder weiß. Und es ist durchaus möglich, dass zwei Meinungen nebeneinander existieren können. Um das verstehen zu können, muss man aber bereit dazu sein, sich auf den anderen einzulassen. Viel zu schnell fassen wir eine Meinung und halten an dieser fest. Wir verteidigen sie bis aufs Blut, ohne uns die Mühe zu machen, auch mal die Sichtweise des anderen einzunehmen.
Schon die Urvölker hatten dazu einen passenden Rat: „Urteile nie über einen anderen, bevor du nicht einen Mond lang in seinen Schuhen gelaufen bist.“ Ein respektvoller Umgang setzt voraus, dass Du Deine Meinung haben darfst, aber auch offen für die Meinung des anderen sein solltest. Es gibt bestimmt gute Gründe dafür, warum Dein Partner eine andere Meinung hat als Du. Im respektvollen Umgang miteinander werdet Ihr herausfinden, warum das so ist, und eine gemeinsame Lösung finden.
Um respektvoll miteinander umgehen zu können, ist es hilfreich, den anderen anzuerkennen und zu achten. Zu erkennen, was der Partner leistet, um die Beziehung zu gestalten, um die Familie zusammenzuhalten, um den Haushalt in Schuss zu halten oder um ein finanzielles Auskommen zu gewährleisten, ist in diesem Zusammenhang wichtig. Hier spielt das Wir-Gefühl aus dem vorherigen Kapitel eine wichtige Rolle. In einer Partnerschaft gibt es eben nicht nur mich selbst. Damit sie funktionieren kann, muss ich immer ein Stück weit auch den Partner anerkennen.
Das ist, gerade im stressigen Alltag, nicht leicht. Man hat eigentlich genug damit zu tun, sich um sich selbst zu kümmern, soll aber auch dem Partner Rücksicht und Respekt entgegenbringen und seine Leistungen anerkennen. Wenn Du es hin und wieder nicht schaffst, ist das normalerweise kein Problem in Deiner Beziehung. Eine echte Liebe sollte so stark sein, um das auszuhalten.
Es ist ohnehin meistens so, dass jeder für sich meint, der Partner wird schon mitbekommen, wenn mit mir was nicht stimmt oder ich mich anders verhalte. Ist das aber wirklich so? Reagiert der Partner immer auf Veränderungen? Nein. Das würde sogar wissenschaftlich belegt. Andere Menschen achten viel weniger auf Dich, als Du es gerne möchtest. Mache einen Test. Ziehe dich tagsüber ohne Grund mehrmals um und schaue, wie deine Mitmenschen darauf reagieren. In 75 % der Fälle fällt es niemandem auf. Alle sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Sie registrieren Dein verändertes Outfit nicht.
Hinweis an alle Männer: Wenn ihr mitbekommt, dass eure Partnerin einen Friseurtermin hat, notiert ihn euch unbedingt im Terminkalender. So könnt ihr wichtige Pluspunkte sammeln, wenn ihr sie am Abend auf die tolle Frisur ansprecht. Ich selbst habe es jahrelang verpasst, mir diese wichtigen Termine zu notieren. Und ohne Scherz: Ich habe keine Veränderung an meiner Frau festgestellt. Erst als sie mir bitterböse Vorwürfe gemacht hat und mir Fotos mit der anderen Frisur gezeigt hat, ist mir die Veränderung bewusst geworden.
Es ist nicht möglich, jede Veränderung des anderen zu registrieren. Dazu strömen viel zu viele Eindrücke in jeder Sekunde auf uns ein. Wir selektieren und bewerten oft unbewusst, und wenn unser Fokus gerade auf uns und unseren Problemen liegt, dann fällt uns eben die neue Frisur des Partners nicht auf.
Wenn Du nun aber permanent zu wenig oder gar nicht auf Deinen Partner achtest, dann bekommst Du ein richtiges Beziehungsproblem. Dann lebt ihr euch auseinander, weil Du nur mit Dir beschäftigt bist und nicht mehr an und mit dem Wir arbeitest. Wobei „arbeiten“ in diesem Zusammenhang das falsche Wort ist. Viele sagen zwar immer, dass man an einer Beziehung arbeiten muss, aber Arbeit“ klingt anstrengend, nach Pflicht und nach wenig Spaß und Freude. Wobei es ja auch immer auf die Arbeit ankommt. Arbeit sollte überwiegend Spaß und Freude machen, damit man ein zufriedenes Leben leben kann. Dennoch würde ich in Zusammenhang mit einer Beziehung nicht von Arbeit, sondern eher von Beschäftigung sprechen.
Ich kann mich mit mir selbst beschäftigen, ich kann mich mit meinem Partner beschäftigen, ich kann mich mit dem Zustand meiner Beziehung beschäftigen. Indem ich mich damit beschäftige, erkenne ich, was gut läuft, was mich stört, was ich liebe oder wo es Potenzial für Verbesserungen gibt. Durch meine Beschäftigung mit meinem Partner und dem Zustand unserer Beziehung komme ich auf Ideen, Einsichten und Entscheidungen. Man beschäftigt sich viel lieber mit etwas, was einem wichtig ist, als einer Arbeit nachzugehen.
Aber zurück. Wenn ich mich nicht mit meinem Partner beschäftige, sein Tun, seine Bemühungen, seine Persönlichkeit, seine Vergangenheit und seine Zukunftspläne und alles an ihm anerkenne und respektiere, auf welcher Basis beruht dann unsere Beziehung? Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie es ist, wenn Teile einer Persönlichkeit nicht anerkannt werden. Ich bin ein Ossi. Ich lebe und arbeite seit über 20 Jahren im Westen von Deutschland und dennoch war ich für einige meiner Mitmenschen immer der Ossi. Durch die andere Erziehung im Osten und durch den Umbruch bei der Vereinigung zu einem Land habe ich zu vielen Themen eine andere Meinung, eine andere Haltung und Einstellung als ein Wessi. Das fängt beim Umgang mit Eigentum an, geht über das Thema Finanzen bis hin zu Bildung und Religion. Ich bin stolz darauf, aus dem Osten zu kommen, auch wenn einige Wessis mich dadurch abwerten.
Anzuerkennen, dass jemand anders ist als man selbst. Offen dafür zu sein und die Unterschiede zu akzeptieren, das gehört zu einem respektvollen Umgang. Um respektiert zu werden, gehört aber auch dazu, dass man sich darum bemüht, integriert zu werden. Kommen wir zurück zum Anfang des Kapitels und dem Beispiel, wie ein Abend in einer Gruppe empfunden wird. Um in einer Gruppe integriert werden zu können, muss ich bereit dazu sein, mich dieser Gruppe anzuschließen. Ich muss Interesse an den anderen Gruppenmitgliedern haben und ihre Persönlichkeiten und Meinungen als solche akzeptieren, auch wenn ich sie vielleicht nicht mag.
Ich kann mich als Ossi wunderbar mit Wessis unterhalten, wenn es um Fußball, Urlaub, die Arbeit oder die Familie geht. Bei Themen wie Religion, Sozialleistungen oder wirtschaftlichen Zusammenhängen würden die Gespräche sehr schnell in einer Diskussion enden. Ob der Abend dann ein schönes Ende nimmt, kommt eben darauf an, wie offen und flexibel man selbst, aber auch die Gruppenmitglieder bei solchen Themen sind. Schwieriger, sich zu integrieren, wird es zum Beispiel bei der Sprache. Je nach Dialekt wäre es angebracht, in einer Gruppe mehr Hochdeutsch zu sprechen, damit die anderen auch verstehen, was man sagt. Kommt nun aber jemand in die Gruppe, der kein Deutsch spricht, wird es schwierig. Wann wird dieser Mensch in die Gruppe integriert und wann respektiert? Wohl doch am ehesten, wenn er versucht, die deutsche Sprache zu benutzen. Auch wenn man es kaum versteht, hat man Achtung und Respekt vor den Bemühungen und ist gewillt, den anderen zu unterstützen. Sollte der Hinzugekommene aber von der Gruppe verlangen, dass alle in seiner Sprache mit ihm sprechen und dass seine Ansichten die einzig richtigen sind, dann wird das mit der Integration nichts. Er wird durch sein Verhalten und seine Forderung auch nicht respektiert. Ganz im Gegenteil. Ablehnung und Hass werden wohl eher die Reaktionen sein, mit denen dieser Mensch rechnen muss.
Bevor wir aber zu politisch werden: Zwischenmenschliche Beziehungen können nur funktionieren, wenn wir einander mit Respekt begegnen. Wenn wir bereit sind, über den Tellerrand hinauszuschauen und den anderen versuchen, zu verstehen. Wenn wir andere Meinungen und Einstellungen anerkennen und wenn wir gegenseitig Rücksicht aufeinander nehmen. Behandle andere so, wie Du selbst behandelt werden möchtest. Und stelle Dir auch immer wieder die Frage, ob Du Dich ausreichend mit Deinem Partner und Deiner Beziehung beschäftigst.
Hin und wieder ein ehrlich gemeintes Kompliment ist ein sicheres Zeichen, dass du deinen Partner achtest. Aber auch eine ehrliche Kritik zeigt, dass du deinen Partner beachtest und er dir nicht egal ist.
Wenn das selbstgekochte Essen, wofür dein Partner stundenlang in der Küche gestanden hat, gut schmeckt, dann solltest du es auch sagen und vor allem genießen. Wenn du ihn dafür lobst, es aber in 5 Minuten hinuntergeschlungen hast, ist es trotz der lieben Worte ein respektloses Verhalten, welches die Mühe, die sich dein Partner gegeben hat, nicht würdigt. Komplimente und berechtigte Kritik sollten aber vor allem freiwillig und ehrlich sein. Sie sollten von Herzen kommen und nicht übertrieben werden.
Übertriebene Komplimente mag keiner. Auf einer Schleimspur auszurutschen, weil sich jemand einschleimen möchte, ist peinlich und wirkt abstoßend. Wenn Du Deinem Partner jeden Tag sagst, dass er wunderschön, sexy und umwerfend ist, meinst Du das sicherlich ernst und es kommt von Herzen. Nach ein paar Tagen ist es jedoch langweilig und wird unglaubwürdig. Oder um es anders auszudrücken: Es nervt.
Andere dazu zu bringen, ein Kompliment zu machen, ist auch nicht gerade förderlich. Die Kinder darauf aufmerksam zu machen, dass die Mama so toll die Pommes gemacht hat und dass sie die tollste Mama der Welt haben, ist vielleicht lieb gemeint. Geht aber meilenweit am Ziel vorbei. Die Mama fühlt sich dadurch nicht besser. Aber genau das sollte das Ergebnis eines Komplimentes sein. Der Empfänger des Komplimentes sollte sich gut, anerkannt oder respektiert fühlen.
Und darum geht es doch schlussendlich in einer Beziehung. Es ist wichtig, dass die positiven, die glücklichen, die guten Momente überwiegen. Bei beiden Partnern. Je besser Du das in Deinen Alltag integrierst, umso einfacher, schöner und erfüllender wird Deine Beziehung. Es ist Deine Entscheidung, ob Du Deinen Partner respektierst und achtest. Wunder Dich aber nicht über die Folgen Deines Verhaltens.
